Vor einigen Wochen haben wir mit der Agentur PRtools an einem Pitch teilgenommen. Es ging um ein grösseres Content Marketing Mandat für ein Unternehmen in der Deutschschweiz mit rund 2300 Mitarbeitern. Wir durften einerseits Komplimente entgegennehmen für das eingereichte Konzept. Es sei sehr innovativ und kreativ. Es sei in der Geschäftsleitung unter allen Konzepten auf das grösste Interesse gestossen und am längsten diskutiert worden. Andererseits haben wir auch eine Absage erhalten. Denn unser «innovative Ansatz würde die Organisation überfordern», obwohl man sich bewusst sei, dass es «in fünf Jahren in diese Richtung gehen müsse».
Unabhängig davon, ob wir dieser Argumentation glauben dürfen, lohnt es sich, darüber zu sprechen. Nicht wegen dieser einen Absage, sondern weil das Phänomen interessant ist. Denn das Konzept sah im Wesentlichen für ein Unternehmen, das notabene explizit mit Content Marketing neue Wege in der Kommunikation beschreiten will, folgendes vor:
- Marketing und PR stellen Inhalte ins Zentrum und nicht einzelne Instrumente
- Die Inhalte sind attraktiv und interessant für die Buyer Personas, thematisieren, was die Zielgruppe beschäftigt und sprechen nicht zwingend über spezifische Angebote
- Attraktive Inhalte machen nicht bei einer einzelnen Abteilung des Unternehmens halt, weshalb es zur Erarbeitung von Content neue Prozesse, die Beteiligung über mehrere Organisationseinheiten hinweg sowie gemeinsame Auftritte von Persönlichkeiten aus verschiedenen Abteilungen braucht
- Die Inhalte werden u.a. in mehrmonatige, wiederholbare Kampagnen gruppiert
- Die Inhalte werden vernetzt live, digital und in Printform transportiert, wobei «digital» und «social» neu mehr Gewicht erhalten
Gemäss Feedback war die Krux unseres Vorschlages Punkt 3, wobei Punkt 2 und 5 natürlich auch immer zu diskutieren geben. Die Organisation funktioniere in Abteilungen und es hätten sich bereits einzelne Abteilungen und Persönlichkeiten nicht gefunden im thematisch aufgebauten Grobkonzept. Man befürchte deshalb, das Konzept würde die Organisation überfordern.
Diese angesprochene Überforderung ist ein interessantes Phänomen, das ich in letzter Zeit immer wieder antreffe. Betrachten wir nur das abteilungs- und organisations-übergreifende Content Management, so lässt sich das mit extra dafür konzipierter Software gut managen. Aber das reicht natürlich nicht aus. Es braucht einen klaren Willen zur Veränderung und eine bewusste Kultur- und Organisationsentwicklung. Leider ist das mit Arbeit, Aufwand und Leadership verbunden. Aus dieser Warte betrachtet, kann die Marketingabteilung vielleicht eine Entwicklung initiieren, aber keinesfalls alleine leben und umsetzen.
Es ist schon verrückt heutzutage: die Welt ist vernetzt, die Grenzen verschwinden, aber in vielen Unternehmen haben wir noch dieselben Strukturen und Grenzen wie vor der Digitalisierung. Unflexible Organisationen erhalten heute Probleme, die ihnen nicht nur im Marketing das Bein stellen können. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass es Unternehmen gibt, wie im vorliegenden Fall, die auch in Zukunft auf eine starke Strukturierung angewiesen sind für eine effiziente und transparente Leistungserbringung.
Umso mehr sind diese Firmen herausgefordert, denn Kunden und Mitarbeitende wollen es immer flexibler halten – und zwar mit allem. Leadership in diesen Organisationen heisst deshalb, sich regelmässig zu fragen, in welchen Bereichen die Organisation jetzt flexibler werden kann und wo an bewährten Strukturen festgehalten werden muss. Meistens ist die Digitalisierung dabei sowohl Treiber der Entwicklung als auch in Form von Software eine instrumentelle Hilfe.
Die Digitalisierung treibt allerdings zuerst Individuen an. Sie prägt die einzelnen und vor allem jüngeren Menschen kulturell viel schneller als sie Unternehmen und Organisationen prägt. Davon bin ich überzeugt. Also glaube ich nicht, dass sich Unternehmen fünf Jahre Zeit lassen können für die bewusste Organisationsentwicklung. Oder anders gefragt: Wofür kann man sich heute eigentlich noch fünf Jahre Zeit lassen?